Die bayerische FDP-Abgeordnete im Europa-Parlament war zu Gast im Landkreis Altötting. Sie war eingeladen als Rednerin beim Europa-Tag der Europa-Union in Altötting. Diese Gelegenheit nutzte Frau Hirsch für Fachgespräche in kleinerem Kreise in Burghausen.
v.l.n.r.: Reinhard Frauscher (Vorstand der Raiffeisenbank), MdEP Nadja Hirsch, Helmut Tiefenthaler (Vorsitzender der Europa-Union) |
Es ging dabei zum einen um die Herausforderungen der Grenzgänger, also Bürger im Grenzgebiet um Burghausen, die in Österreich wohnen und in Deutschland arbeiten. Zum anderen informierte sich Frau Hirsch über die Wasserversorgung in Burghausen (mit dem qualitativ sehr hochwertigen Wasser aus Österreich) und die Abwasserentsorgung über die gemeinsame Kläranlage in Burghausen, die auch die österreichischen Abfälle aufarbeitet.
Die lokale Zeitung, der Burghauser Anzeiger (PNP) berichtete dazu mit nachfolgenden Berichten:
Österreicher sauer über deutsche Steuerbescheide
Burghausen. Der Unmut sitzt tief: Rückwirkend bis 2005 haben Österreicher, die eine deutsche Rente aus einer früheren Tätigkeit hier erhalten, Briefe vom zentralen Finanzamt Neubrandenburg mit hohen Zahlungsaufforderungen plus Zinsen erhalten. So ist es ja auch Rentnern in Deutschland ergangen, die ihre Rente versteuern müssen und denen nun Nachzahlungen drohen. Doch bei den sogenannten Grenzgängern kommt weiteres Ungemach hinzu: Es trifft auch ganz geringe Renten, die in Deutschland nicht der Besteuerung unterliegen. "Wir haben einen Fall, wo die Rente im Jahr 12,90 Euro ausmacht und das Finanzamt 2 Euro einfordert", sagt Josef Auer. Er ist Obmann des Grenzgängerverbands in Braunau.
Die FDP des Kreisverbands Altötting hat am Montag den Grenzgängerverband zu einem Fachgespräch ins Hotel Post eingeladen. Dazu war auch Nadja Hirsch aus München gekommen. Sie ist die einzige bayerische FDP-Abgeordnete im Europaparlament und dort stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Beschäftigung und Soziales.
Wie FDP-Kreisvorsitzender Konrad Kammergruber und der Grenzgängerverband zu Beginn des Gesprächs herausstellten, gibt es im Bezirk Braunau 1400 betroffene Rentner und zugleich einen grundsätzlichen Widerspruch. Während der berufstätigen Zeit gilt der Wohnort als maßgebend für die Steuer. Österreicher versteuern ihr Einkommen deshalb in Österreich. Umgekehrt ist es in der Rentenphase. Da gilt für die Steuer der Einkunftsstaat. Und derzeit bekommen laut Rosemarie Esterbauer vom Grenzgängerverband 84 Millionen Menschen, die im Laufe des Lebens einmal in Deutschland tätig waren, auch eine Rente und davon will der deutsche Staat wiederum Steuern abzweigen.
"Grundsätzlich ist dagegen auch nichts zu sagen", stellt Konrad Kammergruber heraus. Dem stimmen auch die Grenzgänger zu: "Natürlich braucht der Staat Steuern und es ist legitim sie zu fordern," sagt Esterbauer.
Doch die Grenzgänger sind verärgert über die Vorgehensweise. "Über Jahre hat es für uns in Deutschland kein zuständiges Finanzamt gegeben. Die Steuern, die jetzt für Renten nachgefordert werden, hätten nirgendwohin bezahlt werden können. Und doch werden nun Zinsen verlangt und nicht nur das: Den Menschen wird auch gleich mit einer Pfändung gedroht. Die Betroffenen sind allesamt ältere Menschen, die sich kaum zur Wehr setzen können und total verunsichert sind", betont Obmann Josef Auer.
Dazu muss man wissen, dass die Regelungen kompliziert und allein von den Begriffen her mehr verwirrend als aufklärend sind. Allein der Begriff "Doppelbesteuerungsabkommen" suggeriert, dass hier zweimal zugegriffen wird. Das stimmt zwar, ist aber so gedacht, dass der Betroffene nicht mehr belastet wird als ein Bürger, der Einkünfte nur in einem Land hat. Das stimmt so natürlich nicht ganz, weil in jedem Land andere Bestimmungen gelten.
Für Österreicher, die eine deutsche Rente erhalten, kommt eine weitere Sprachverwirrung hinzu. Normalerweise freut sich jeder, wenn er nur begrenzt steuerpflichtig ist. Doch das wäre hier dumm. Die Leute müssen laut Grenzgängerverband versuchen, als unbegrenzt steuerpflichtig eingestuft zu werden. Ein Recht dazu haben sie, wenn ihre deutsche Rente maximal 6.135 Euro im Jahr ausmacht und weitere Einkünfte in Österreich nicht mehr als 12.200 Euro im Jahr ausmachen. Dann und nur dann bleibt die deutsche Rente steuerfrei.
Andersfalls herrscht begrenzte Steuerpflicht und dann kassiert der deutsche Staat genau ein Zwölftel der Rente. Der Grenzgängerverband will nun vor allem eines erreichen: Dass die rückwirkenden Forderungen des deutschen Fiskus vom Tisch kommen.
EU-Abgeordnete Nadja Hirsch sicherte ihnen zu, den Sachverhalt prüfen zu lassen. Möglicherweise widerspreche die Vorgehensweise der EU-Gesetzgebung, der zufolge niemand benachteiligt werden darf, wenn er in einem anderen EU-Land gearbeitet hat. Ansonsten versprach sie, auch FDP-MdB Daniel Volk einzuschalten, der Vorsitzender der AG Steuern und Finanzen in der Partei ist. Aufmerksamer Zuhörer war hier Ulrich Kastner, örtlicher Direktkandidat der Partei für den Bundestag.
Neben der kurzfristigen Lösung sprach sich Hirsch für ein langfristiges Konzept aus. Die Mobilität der Menschen nehme zu. Dafür sei es wichtig, eine neue Ebene über den Nationalstaaten für die Sozialversicherung zu schaffen.
Angesichts der Verunsicherung haben die deutschen Finanzbehörden offensichtlich auf politischen Druck hin schon ein Zugeständnis gemacht. Die ursprünglich auf vier Wochen begrenzte Einspruchsfrist gegen die Bescheide ist auf 14 Monate ausgedehnt worden.
Mindestens genauso viel Quatsch aus Berlin
Altötting. Die europäische Ebene gibt den Rahmen vor, die Kommunalpolitik setzt die Vorgaben individuell um – Nadja Hirsch, für die FDP Mitglied im Europaparlament, zeichnete ihr ideales Bild einer funktionierenden Europapolitik beim Vortrag der Europa-Union am Montag im Saal der Raiffeisenbank vor 60 Zuhörern. Anlass war der Europa-Tag am 9. Mai.
Hirsch kennt die Hindernisse auf dem Weg zu einem "Europa der Bürger". Zwar sei die Gemeinschaft ein "erfolgreiches Friedensprojekt", habe aber auch ein "Demokratie-Defizit", beispielsweise solle das Parlament mehr Kontrollrecht haben – zentrale Beschlüsse dürften nicht nur zwischen den Regierungschefs verhandelt werden. Die Europäer müssten überlegen, wohin sich die EU entwickeln solle – zurück zu einer bloßen Wirtschaftsgemeinschaft oder weiter zu einer Föderation.
Europa müsse sich bald entscheiden, schließlich würden Russland, China oder Südamerika nicht darauf warten, bis sich hier "alle lieb" hätten. "Die ziehen ihre Sache durch", sagte Hirsch. Europa müsse "handlungsfähiger" werden, auch mit einer gemeinsamen Außen- oder Atompolitik.
Trotzdem sei die Union politisch aktiv, wie das Beispiel Ungarn nach dem dortigen rechtsextremen Ruck zeige. Nach Entscheidungen zur Abberufung von Richtern, von Werbeverboten für Parteien habe die EU eingegriffen. Nach "Nadelstichen" wie einem Vertragsverletzungsverfahren und Schwierigkeiten beim Abrufen von EU-Geldern stehe der Gemeinschaft noch die "Keule" des Stimmrechtsentzugs zur Verfügung. Hirsch bezeichnete es als "Schwäche", dass es keine Maßnahmen zwischen Keule und Nadelstichen gebe. Ihre Warnung: Die Erfahrung der politischen Entwicklung in Ungarn zeige, dass "Dinge, die für uns selbstverständlich sind, auch kippen können".
Als langfristiges europäisches "Kernthema" bezeichnete Hirsch die Jugendarbeitslosigkeit. Zwar gebe es Milliarden-Unterstützungen für Jugendliche, die im Ausland lernen und arbeiten wollten – auch als ein Mittel gegen den Fachkräftemangel. Doch vor allem südliche Länder sollten Ausbildung und Wirtschaft "stärker verzahnen". Eine "Willkommenskultur" hierzulande ist für Hirsch eine Voraussetzung für einen europäischen Arbeitsmarkt. Politischer Wille sei auch für Regelungen zu einer gemeinsamen Renten- wie Krankenversicherung notwendig.
Der Grund für die Euro-Krise in einigen Staaten liegt für Hirsch in der Inanspruchnahme billiger Kredite durch die Regierungen. Gefragt, warum vor dem Beitritt Griechenlands die dortigen Haushaltszahlen nicht genauer geprüft worden seien, sagte sie, der Beitritt Griechenlands zur Euro-Zone sei politisch gewollt gewesen. Dass für ein Genesen der griechischen Wirtschaft das Lebensmodell Vetternwirtschaft abgeschafft werden müsse, löste bei den Besuchern angesichts aktueller bayerischer Ereignisse Lachen aus.
Zuhörer übten Kritik an der EU-Politik: So habe sich in den letzten 20 Jahren an der Durchschlagskraft Europas nichts verbessert, Jugendliche seien nur schwer für Europa zu begeistern. Hirsch antwortete, Europa sei "sehr viel weiter" gekommen, unter anderem bei der Migrations- und Flüchtlingspolitik, die bis vor Jahren komplett in der Hand einzelner Mitgliedsstaaten gewesen sei. Das Europäische Parlament habe heute mehr Möglichkeiten als noch 2009. Es gebe aber noch in vielen Bereichen Handlungsbedarf – genau so wie bei der Kompetenzverteilung in der Bundesrepublik. Richtig sei, dass man als Europäer "immer für alles schuldig ist, egal für was". Eine Richtlinie werde beschlossen, die "Bundesregierung setzt noch eins drauf und verkauft das als Gesamtpaket, als was von Brüssel unbedingt durchgeführt" werden solle. "Einen Funken Ehrlichkeit bei einzelnen Politikern auf nationaler Ebene fände ich schön", sagte Hirsch und ergänzte, im Vergleich zu Brüssel "kommt mindestens genauso viel Quatsch aus Berlin oder dem Landtag".
Reinhard Frauscher, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der VR meine Raiffeisenbank EG, sah zwei positive Aspekte der Europapolitik in den EU-Richtlinien zur Banken-Refinanzierung Basel III und dem Wettbewerbsrecht bei Genossenschaftsbanken.
Europa zu erklären sei eine schwierige Aufgabe, sagte Helmut Tiefenthaler, Vorsitzender des Kreisverbands der Europa-Union. Wer mit verschiedenen Gesichtspunkten an diese Aufgabe herangehe, könne sich dem europäischen Kern nähern.