Zum Auftakt des Jahres 2021 interviewte der Kreisredakteur des PNP, Herr Erwin Schwarz, den Kreisvorsitzenden Konrad Kammergruber. Sie können hier die Langfassung des Interviews nachlesen.   

 

1.   2020 war ein außergewöhnliches Jahr. Welche Bilanz ziehen Sie, bezogen auf den Landkreis?

Das Jahr war dominiert durch die Corona-Krise. Viele sind erkrankt, viele sind gestorben.

Für alle war es einschneidend, gewohnte Freiheiten wurden beschnitten.

Aber ich würde es deshalb nicht ein verlorenes Jahr nennen (positiv in Erinnerung sind mir u.a. der Start für die Sanierung des Ku-Max-Gymnasiums in Burghausen und der Beginn des Zusammenschlusses der Kreiskliniken AÖ und MÜ). 

Eine Folge der Corona-Krise war, dass sich alle mit einem Thema beschäftigen mussten, das nicht auf dem Radar war. Dies nahm Ressourcen weg für die Bearbeitung anderer Themen und führte zu starken Belastungen.

Es ist insgesamt noch zu früh, die Folgen schon voll abzusehen.

Bisher wurden die wirtschaftlichen Folgen weitgehend abgefangen durch staatliche Unterstützungen. Pleiten und Arbeitsplatzverluste werden erst noch kommen. Auch Steuererhöhungen sind zu befürchten.

Die Bedeutung für den Landkreis: das Klinikdefizit wird noch höher als befürchtet ausfallen; aber wie viel wird von oben kompensiert? Die großen Firmen im Landkreis sind wohl gut durch die Krise gekommen, aber es leiden viele kleineren Firmen, Hotellerie, Restaurants und alles, was dranhängt, Mittelstand, Kultur- und Kunstgewerbe.

Auch die Folge der geringeren Beschulung kann man noch nicht abschätzen. Wie kann die gewünschte Qualität der erreichten Abschlüsse erreicht werden?

Für viele war es auch eine neue Fokussierung auf die wirklich wichtigen Dinge im Leben.

Hohe Flexibilität im Berufsleben wurde gefordert und bewiesen. 

Aufgezeigt wurden aber auch die klaren Defizite, die wir haben in Bezug auf Digitalisierung in Schulen und Gesundheitswesen.

Durch Corona ist jetzt erheblich angeschoben worden, dies zu verbessern.

 

2.   Haben Sie Kritik für die Pandemie-Bekämpfung sowie die Test- und Impfstrategie seitens des Landkreises?

Kritik auf Landkreisebene ist aus meiner Sicht nicht angebracht.

Man sieht den hohen Einsatz der beruflichen Kräfte wie Gesundheitsamt, Landrat, Behörden, Ärzte, Pfleger, Krankenhäuser, Rotes Kreuz, etc.

Und auch die symbolischen Aktionen wie Gratis-FFP2-Masken an alle, vor allen anderen.

Auch die Zentralisierung auf das Innklinikum Mühldorf auf Corona im ersten Lockdown war vorbildlich und hilft sicher beim Zusammenwachsen.

Die Vernetzung des LRA mit den großen Firmen im Landkreis und die Abstimmung zu den nötigen Aktivitäten war gut.

Die Aktionen auf Landkreisebene sind ja eingebettet in die bayernweite und bundesweite Regelung. Hier haben wir schnelle Reaktionen und Umsetzungen von Bayern-Vorgaben im Landkreis AÖ gesehen, so beim Testen und bei der Impfvorbereitung.

Zur Kritik:

es ist sicher nicht alles richtig gemacht worden, auf Seiten Bund und Land, wir mussten alle lernen damit umzugehen, Erfahrungen zu gewinnen. Im Nachhinein würde man manches anders machen. Trotzdem muss man auch auf Defizite hinweisen dürfen ohne gleich in die Querdenker- und Corona-Leugner-Schublade gesteckt zu werden.

Kritikpunkte sind: die lange fehlende Einbeziehung der demokratisch gewählten Organe. Die Schließung aller Geschäfte war kritisch, warum nicht nach Inzidenz vor Ort oder abhängig vom Schutzkonzept? Ein umsetzbares Schulkonzept fehlte, auch noch im Herbst. Es gab Pannen beim Teststart. Der Einpendler-Test für Österreicher wurde hektisch aufgesetzt und dann wieder gestoppt.

War die Maskenvorgabe auf fast leeren Plätzen nötig?

IT an den Schulen: es mangelte an Ausrüstung, an Vorbereitung im Umgang, am Tool (Medis heute noch ein Problem), an der Ausbildung und Ausstattung der Lehrkräfte (IPads durften nicht nach Hause mitgenommen werden). Die Kultusbürokratie zeigte sich schwerfällig und wenig unterstützend für die Bedürfnisse vor Ort.

Wie ist mittlerweile der IT-Hintergrund im Gesundheitsamt? Läuft das immer noch via Fax? Es gibt einheitliche IT-Lösungen für den Austausch der Daten, werden diese hier angewendet? 

Viel zu spät hat man sich den wirklichen Risiko-Schwerpunkten angenommen: den Alters- und Pflegeheimen.

Es gab zu viele Ansteckungen und Todesfälle in den Altersheimen. Es war sehr schnell klar, dass hier der Schwerpunkt der Maßnahmen liegen sollte, aber konkrete Umsetzungen kamen sehr spät (Maskenvorgabe, Kontrolle, Teste von Personal und Besuchern, Besucherregelungen, etc.). Natürlich ist die Abwägung schwierig: wir können die Alten nicht einsperren, Kontakt soll weiterhin ermöglicht werden, aber unter Sicherheitsauflagen.

Ich lasse mich natürlich auch impfen sobald es geht. Und meine Erwartung bezüglich der Impfquote beim Risikopersonal in den Altersheimen und Krankenhäusern ist hoch: es sollten sich alle impfen lassen.

 

3. Welche Auswirkungen der Krise erwarten Sie für den Wirtschaftsstandort Chemiedreieck?

Die wirtschaftlichen Folgen sind noch schwer abschätzbar: die Industrie ist wohl vergleichsweise gut davongekommen, dies ist sehr wichtig, weil dadurch unser Gewerbesteueraufkommen dominiert wird. Für viele Mittelständler, die durch den Lockdown massiv Umsatz verloren haben, ist zu hoffen, dass vorhandene Reserven in Verbindung mit Unterstützungsmaßnahmen des Staates und Nachholeffekten nach dem Lockdown das Überleben sichern. Nicht alle werden überleben, die Arbeitslosigkeit wird steigen.  

In Summe wird es übergangsweise zu weniger Steuereinnahmen bei Städten und Gemeinden führen, mit dem man umgehen muss.

Die Corona-Krise hat die hohe Bedeutung der etablierten, globalen Lieferketten verdeutlicht. In Verbindung mit dem zunehmenden Protektionismus der Länder werden viele Firmen gezwungen sein, noch mehr kundennah zu produzieren statt von Deutschland aus zu exportieren. Auf ein wettbewerbsfähiges Umfeld in Deutschland ist weiterhin zu achten.

Ein höherer Home-Office-Anteil wird künftig bleiben, dadurch gewinnen die Regionen gegenüber den Großstädten. Der Pendler-Verkehr nach München wird zurückgehen.

 

4. Was bedeutet das für die Investitionspläne des Landkreises. Was kann und was muss man sich leisten?

Die Leistungskraft unseres Landkreises war auch ohne Corona schon angespannt, v.a. durch die hohen Defizite für das Krankenhauswesen.

Die Situation wird jetzt durch Corona verschärft, weil weniger Einnahmen zu befürchten sind und höhere Ausgaben ins Haus stehen (u.a. um auf die Corona-Erkenntnisse zu reagieren).

Die bisherige geringe Verschuldung in Verbindung mit der sehr günstigen Zinssituation erleichtert aber das Aufnehmen weiterer Schulden. Ferner wird das Land Bayern hohe Zuschüsse zu vielen Projekten geben, um leichter aus der Corona-Krise herauszukommen.

Deshalb sollten wir bei den Projekten so weitermachen wie geplant.

Der Fokus wird weiter bei den Investitionen für die Schulen liegen müssen: Neubau König-Karlmann-Turnhalle, Neubau Pestalozzi-Schule, Neubau FOS/BOS, Planung Berufsschule.

Hier ist uns wichtig, dass wir nicht nur auf die einzelnen Schularten im Schulzentrums AÖ/NÖ schauen, sondern dabei auch die Situation im Schulzentrum insgesamt verbessern: die Verkehrssituation (Parken, Anfahrtswege, Logistikwege, Verkehrsflüsse) muss dringend verbessert werden, eine Analyse wurde bereits angeschoben, aber die Ergebnisse sollten endlich vorgelegt werden. Wir müssen das Schulzentrum mehr als Campus betrachten, bei der so viele Einrichtungen wie möglich schulübergreifend nutzbar gemacht werden. Deswegen sollte die Planung für die Berufsschule nicht erst nach Abschluss Neubau FOS/BOS beginnen, sondern sofort.

Beim Neubau des Landratsamtes stellt sich die Frage, wie sich die bisher in dieser Schnelligkeit nicht für möglich gehaltenen Effekte der Zusammenarbeit via IT und durch Homeoffice auswirken auf den Bürobedarf und in welcher Form dieser auch gebündelt in einem Gebäude zur Verfügung gestellt werden muss.  

 

5.  Zentral ist auch die Entwicklung des InnKlinikum. Wie kann das fusionierte Krankenhausunternehmen zukunftsträchtig aufgestellt werden?

Die nötigen Weichenstellungen dazu wurden schon vorgenommen: Modernisierung und Erweiterung einiger Abteilungen,

Identifizierung von Doppelvorhaltungen und anschließend der zügige Abbau dieser Doppelvorhaltungen.

Diese Maßnahmen werden die Qualität der Abteilungen erhöhen, die Attraktivität des Krankenhauses steigern und auch zu einer besseren Wirtschaftlichkeit führen. Die sehr gute Zusammenarbeit zwischen Mühldorf und Altötting während der Corona-Zeit gibt Hoffnung für eine gute weitere Entwicklung der fusionierten Häuser.

Wir müssen die nächsten Jahre abwarten müssen, mehr mit Zahlen führen und die erwartbaren biologischen Veränderungen (Weggang von Chefärzten) abwarten, bis die Doppelvorhaltungen auch weniger werden.

Im Kreistag könnte noch konkreter mit Zahlen gezeigt werden, wie die Planungen für den Abbau der Doppelvorhaltungen sind und wie sich die Umsetzung dazu gestaltet. Exemplarisch wurde dies in der Jahresversammlung des Fördervereins für das Krankenhaus Burghausen schon mal demonstriert. 

Inwieweit jetzt durch die Erfahrungen aus der Corona-Zeit Anpassungen an diese Vorgehensweise nötig sind, muss noch geprüft werden. Es ändern sich möglicherweise Abrechnungsprozesse und Förderungen; Corona hat auch gezeigt, dass die aktuelle Finanzierung des Krankenhauswesens überarbeitet werden muss.

Ich gehe davon aus, dass Klinikleitung und Verwaltungsrat diese Entwicklungen beobachten und ggf. auch bereits freigegebene Investitionen hinterfragen und abändern, wenn erforderlich.